Grußwort

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Liebe Leserin, lieber Leser

„Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind, kehrt mit seinem Segen ein in jedes Haus, geht auf allen Wegen mit uns ein und aus.“ Dieses Weihnachtslied gehört für mich irgendwie zu Advent und Weihnachten, wie für Andere das „Vom Himmel hoch, da komm ich her“, oder „Leise rieselt der Schnee“, oder „Es kommt ein Schiff geladen“, „Tochter Zion“ und wie sie alle heißen. Und wenn ich sonst auch sehr genau bin bei der Liedereinteilung in Advents- und Weihnachtslieder, und ich weiß „Alle Jahre wieder“ ist eigentlich ein Weihnachtslied, fange ich dieses Lied dennoch in der Regel recht schnell an, innerlich zu summen, wenn auch mit einem anderen Text: „Alle Jahre wieder, kommt Advent und Weihnachten – Glühwein und allgemeine, so wie ganz eigene Hektik. Alle Jahre wieder gerate ich in die gleichen Stresssituationen und Weihnachten ist schneller da, als mir lieb ist. Alle Jahre wieder wiederholt sich das Stöhnen und der Trubel der Vorweihnachtszeit.“ Der Sinn der Adventszeit gerät allzu schnell in Vergessenheit. Wir verwechseln Vorbereitung mit Konsum und Hektik. Ruhephasen passen da gar nicht hinein. Und so dauerte es auch einen Moment, bis ich verstand, was mir die Geschichte vom Blinden in der Bahnhofshalle von Heinz Schäfer eigentlich sagen will: 
„Bitte warten Sie hier“ sagte ich zu dem Blinden und ließ ihn an einer verkehrsgeschützten Ecke des Großstadtbahnhofes allein. Ich wollte ihm das Gewühl ersparen auf dem Weg zum Schalter, zur Auskunft, zur Fahrplantafel.
Zurückkehrend sah ich ihn schon von weitem stehen, während die Menschen an ihm vorbeihetzten, ein Kind ihn anstarrte, ein Gepäckkarren einen Bogen um ihn fuhr und ein Zeitungsverkäufer fast scheu wieder von ihm wegging. Er stand ganz still, der Blinde. Auch ich musste ein paar Augenblicke stehenbleiben. Ich musste sein Gesicht anschauen. Die Schritte um ihn herum, die unbekannten Stimmen und die Geräusche des lebhaften Verkehrs schienen für ihn keine Bedeutung zu haben. Er wartete. Es war ein ganz geduldiges, vertrautes Warten. Es war kein Zweifel auf seinem Gesicht, dass ich etwa nicht wiederkommen könnte. Es war ein wunderbarer Schein der Vorfreude darin: er würde bestimmt wieder bei der Hand genommen werden. Ich wusste auf einmal: So müsste eigentlich das Adventsgesicht der Christen aussehen.
Ich lege mir in diesem Jahr diese Geschichte ganz sicher auf den Schreibtisch und vielleicht gelingt es mir dann, hin und wieder aus der Hektik und der Belastung, die die Adventszeit bedeutet, auszusteigen. Denn ich sehe ihn vor mir, den Blinden, der da wartet, mitten im Trubel eines Großstadtbahnhofes.  Ich sehe ihn vor mir, durchaus lauschend, wann sein Bekannter zurückkommt, aber auch sicher, dass er kommt. Vielleicht gelingt es mir dann und wann inne zu halten und wirklich zu warten, dass die Liebe Gottes auch in mir Gestalt annimmt. Ich muss dafür gar nichts machen. Er will zu mir kommen, darauf kann ich mich verlassen und dafür muss ich gar nichts tun, außer auf ihn zu warten. Wichtig ist, dass ich ihn im Trubel nicht übersehe oder überhöre

Anne Salzbrenner